Kurz & bündig

- Gründe für Kannibalismus sind: Schlechtes Stallklima, Unterbeschäftigung, angeschlagene Gesundheit oder ein Problem mit der Fütterung.
- Eine sinnvolle Sofortmassnahme gegen Kannibalismus ist das Verfüttern von Heu. Das sättigt und beschäftigt die Schweine.
- Im Fallbeispiel war das verschmutzte Futtersilo das Problem. Verschimmeltes Futter gelangte so zu den Schweinen.

Kannibalismus ist ein Symptom, das sicher der ein oder andere Schweinehalter schon bei seinen Tieren erlebt hat. Die Tiere sind aggressiv und verletzen sich dabei gegenseitig, indem sie in Schwänze, Ohren oder Flanken beissen. Kannibalismus ist nur ein Symptom. Die Ursachen sind sehr vielfältig und reichen von Mängeln bezüglich Haltung oder Stallklima über die Beschäftigung oder Gesundheit der Tiere bis hin zur Fütterung.

In jedem Fall deutet Kannibalismus darauf hin, dass irgendetwas für die Tiere nicht stimmt und ihr Wohlbefinden beeinträchtigt ist. Die Ursachen müssen individuell gefunden werden, was eine grosse Herausforderung ist.

Am Morgen im Stall: Schrecken ohne Ende …

[IMG 2]Es ist kein schöner Anblick, wenn man morgens in den Stall kommt und überall an der Wand Blutspuren sieht. Auch die Mästerin dieses Fallbeispiels kennt dieses Problem. Sie wird hier Frau Meier genannt. Frau Meier hat einen Maststall mit 500 Mastplätzen. Die Tiere werden mit ca. 60 kg aus der Vormast in die Endmast umgestallt. Der Stall hat einen Auslauf mit Flüssigfütterung im Aussenbereich. Pro Bucht werden etwa 40 Tiere gehalten. Der Liegebereich ist dick eingestreut und abgedeckt.

Als Frau Meier die verletzten Tiere sah, hat sie den Tieren sofort Heu angeboten. Dies hat die Situation kurzzeitig etwas verbessert, das Schwanzbeissen aber nicht gestoppt. Einen hauptveranwortlichen Kannibalen konnte Frau Meier nicht ausmachen. Als sie nicht mehr weiterwusste, hat sie sich an den Schweinegesundheitsdienst SGD gewendet.

… scheinbar ohne Grund? Der SGD sucht Ursachen

Auf dem Betrieb angekommen, beurteilte der SGD zuerst das Verhalten der Tiere. Auffällig war, dass die Tiere sehr aktiv und unruhig waren. Alle Tiere waren mehr oder weniger in Bewegung. Während man durch die Buchten lief, bissen einen zum Teil Schweine in die Wade. Keine der Buchten war überbelegt.

Im Anschluss wurde das Stallklima bewertet. Die Temperatur im Liegebereich der Vormast lag mit 22 bis 24 Grad im Normbereich, es herrschte nirgends Zugluft. Die Luftqualität – Ammoniak- und CO2-Gehalt – waren ebenfalls nicht zu beanstanden.

Sauberes Wasser, Mineralstoffgehalt in Ordnung

Es standen pro Bucht drei Wassernippel zur Verfügung. Laut Tierschutzgesetzgebung wird bei Flüssigfütterung ein Wassernippel pro 24 Tiere benötigt. Alle Wassernippel waren funktionstüchtig und das Wasser lief in einem weichen Strahl mit gutem Druck (keine Munddusche). Der Wasserdurchfluss lag in der Vormast bei 1 l/min und in der Endmast bei 1,5 l/min. Die Wasserversorgung ist somit als gut zu beurteilen.[IMG 3]

Auch die Wasserqualität ist in Ordnung: Bei einer kürzlich entnommenen Wasserprobe kam es zu keiner Beanstandung. Es konnten weder aerobe oder mesophile Keime, noch E. coli oder Enterokokken nachgewiesen werden.

Es wird ein Vor- und Endmastfutter verabreicht. Die Mineralstoff- und Spurenelementgehalte sind gut eingestellt. Die Tiere hatten geformten Kot und keinen Durchfall, welcher zu einem Mineralstoff- und Spurenelementverlust hätte führen können.

Das Fressplatzverhältnis war grosszügig berechnet und jedes Mastschwein hatte genug Platz bei der Fütterung. Die Fütterung wird innerhalb von sieben Tagen auf 100 Prozent eingestellt. Auch hier war die Futterkurve gerade angepasst worden, so dass die Tiere ausreichend Futter pro Fütterung bekommen haben. Die Tiere werden viermal täglich gefüttert und haben zusätzlich noch Heu in Raufen. Dadurch sollten die Tiere eine gute Sättigung erhalten.

Die Kontrolle zeigt: Das Futtersilo ist die Ursache für das Übel

Liest man sich die Fakten nun so durch, hat Frau Meier alles richtig gemacht. Dennoch sind die Tiere aggressiv und verletzen sich gegenseitig. Ein wichtiger kritischer Kontrollpunkt wurde noch nicht besprochen: Die Futterhygiene.

Die Tröge, die Auslaufleitungen in den Trog und die Futterstande waren sauber. Die Futterstande wird regelmässig gereinigt und die Leitungen gespült, sodass kein Biofilm in der Futterleitung festzustellen war.

Dann kam die Sprache auf die Futtersilos. Frau Meier hat zwei Metallsilos, die draussen stehen. Die Futterschnecke ist über ein kleines «Fenster» zugänglich. Die Silos wurden immer wieder, kurz bevor diese leer wurden, befüllt und somit noch nie gereinigt. Dies gilt auch für die Futterschnecke.

Da beide Silos einen Schieber hatten, war ein Einblick zur Futterschnecke möglich, obwohl noch Futter im Silo war. Die Schieber waren nur sehr zäh beweglich, man musste sie mit einem Hammer in Bewegung bringen. Dies ist meist schon ein Hinweis, dass eventuell verklebtes Futter den Schieber behindert.

Mykotoxine gelangten in die Futtersuppe

Als der Schieber vollständig geschlossen war, wurde der Bereich, in dem die Futterschnecke liegt, geöffnet und beurteilt. Auf den ersten Blick sah man nur einen grossen, gräulich-schwarzen, verklebten Futterbrocken, der sich in einem Stück herausnehmen liess. Weitere solcher Futterbrocken fanden sich in den Ecken unterhalb der Futterschnecke. Die Blätter der Futterschnecke waren nicht im Einzelnen erkennbar, sondern man sah nur ein zylinderförmiges Gebilde.

Es ist beeindruckend, dass die Fütterung mit solch einer verklebten Futterschnecke überhaupt noch funktioniert hat. Allerdings ist fraglich, wieviel Mehlbestandteil die Futtersuppe noch enthielt.

Die Ursache für das aggressive Verhalten der Tiere von Frau Meier war nun klar. Das gefütterte Mehl kam mit dem gräulichen, mykotoxin- und schimmelhaltigen Futterklumpen in Kontakt. Somit wurde bei jeder Fütterung immer ein wenig mykotoxin- und schimmelhaltiges Futter mitgefüttert. Mykotxine können die Tiere aggressiv machen. Ist der Mykotoxingehalt hoch genug kommt es auch zu einer Futterverweigerung.

Was tun gegen Kannibalismus bei Schweinen?

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Als Sofortmassnahme hat Frau Meier richtig gehandelt und Heu angeboten. Dies sollte beibehalten werden, da es die Tiere sättigt. Danach braucht es folgende Massnahmen:

  • Beide Futterschnecken sollten sauber gereinigt werden.
  • Da die Silos noch ein wenig Futter enthalten, kann Frau Meier den Tieren zusätzlich Holzkohle (Carbon) anbieten, welche Giftstoffe binden kann.
  • Auch die Brennnessel ist eine gute Heilpflanze, die entzündungshemmend wirkt und einen hohen Eisengehalt hat.
  • Tiere, die geschwollene Schwänze haben, sollten mit einem Schmerzmittel und einem Antibiotikum behandelt werden.
  • Die Silos sollten vollständig geleert und gereinigt werden.
  • Die nächste Futterlieferung sollte einen Mykotoxin-Binder enthalten.
  • Die Kontrolle und gegebenenfalls die Reinigung der Silos sollten als kritische Kontrollpunkte gesehen werden und mindestens zweimal jährlich kontrolliert werden.

Aus dem Alltag der Suisag-SGD-Tierärzte 

Fall-Beispiele und Lösungs-Vorschläge aus dem Alltag der Tierärzte des Suisag-Schweinegesundheitsdienst (SGD). In dieser Folge von Stefanie Klausmann, Tierärztin und stellvertretende Leiterin beim SGD Zürich-Ost der www.suisag.ch

Der nächste Beitrag dieser Serie erscheint in der Ausgabe Nr. 12/2021.